Ahoi.
Ist lange her, ich weiß. Ich habe das “Weekly” daher auch aus dem Titel genommen, passt ja nicht mehr so, aber “Yearly” war mir dann auch zu doof. Nun sind es also unregelmäßige News, welcher Art auch immer. Diesmal dafür etwas umfangreicher. Ihr habt ja genug Zeit zum Lesen bis zur nächsten Ausgabe Ende 2025. Haha.
Erstmal ein Foto aus dem ARoS Kunstmuseum in Aarhus, dann geht’s los.
Newsletter-Software-Wechsel
Ein paar technische Details vorweg: Der Newsletter-Dienst, den ich bisher nutzte (Revue) wurde von Twitter gekauft, bevor Twitter von dem Irren gekauft wurde. Und nun wurde er eingestellt. Der Dienst, nicht der Irre. Der stellt ja nur aus.
Das ist sehr schade, denn es gab einiges, was ich an Revue sehr geschätzt habe, vor allem die Möglichkeit, spannende Links mit einem Klick / Tap in einer Art Inbox zu sammeln, um sie dann später kommentiert direkt in den Newsletter packen zu können. Das bietet leider kein anderer Dienst, aber so ist das halt, wenn man sich aufs Internet verlässt.
Ich habe die Mailadressen der bisherigen Abonnent*innen also zum neuen Dienst Substack rübergezogen, hoffe, das ist okay. Ihr könnt euch natürlich jederzeit abmelden, den “Unsubscribe”-Button findet ihr am Ende jeder Mail.
Die alten Ausgaben habe ich auch von Revue exportiert, danach habe ich meine und eure Daten bei Revue komplett gelöscht, und erst dann habe ich festgestellt, dass ich zum Importieren der alten Ausgaben zu Substack meinen Revue-Account noch kurz hätte behalten müssen. Tja. So ist das halt, wenn man sich auf sich selbst verlässt.
Nun könnte ich die früheren Ausgaben natürlich nach und nach manuell ins neue System übertragen und rückdatieren. Aber mal sehen, ob ich darauf Lust habe. Und wann.
Was neu ist: Auf Substack könnt ihr diesen Newsletter öffentlich kommentieren und liken (seufz) und euch ein eigenes Archiv der verschiedenen Substack-Newsletter anlegen, so soll eine Art Community entstehen … keine Ahnung, ob man das will und braucht, wer will schon in noch einer Community sein? Aber ich probiere das alles mal aus und ihr könnt mir gerne schreiben, wenn euch etwas stört. Vielleicht wechsle ich auch nochmal auf ein anderes System, dieser Newsletter bleibt das Überraschungsei der Self-Publishing-Szene.
Alles nicht so spannend, aber ich wollte euch Bescheid sagen.
Radio Spreeblick
Seit längerer Zeit mache ich etwa alle zwei Wochen Radio Spreeblick im Internet, und es hat sich eine kleine, feine, äußerst nette Hörerinnenschaft rund um die Show gesammelt, wir plaudern während der Livestreams im Mixcloud-Chat, ich spiele dabei Musik, die ich liebe, und erzähle was dazu.
Seit Anfang Dezember gab es nun aber keine neue Ausgabe der Show und ein paar Leute wunderten sich darüber, ich hatte aber keinen Bock, das auf Twitter oder Instagram zu thematisieren, daher hier: Ich bin einfach etwas krank, leider etwas zu lange. Ging Anfang Dezember mit Covid-19 los, was nach wenigen Tagen überstanden schien (Tests negativ), danach ging es aber einfach nicht bergauf. Zum Glück nix schlimmes, keinerlei Probleme mit der Atmung oder so, aber weiterhin leichtes Fieber, Schwäche, Dauermüdigkeit, dieses Programm eben. Lesen, schreiben, Radio machen, arbeiten: Keine Chance bis vor wenigen Tagen.
Tatsächlich komme ich erst jetzt, also nach fünf Wochen, sehr langsam wieder zu Kräften. Nochmal: Alles kein Drama (sagt auch meine Ärztin), EKG super, Lunge klingt gut, aber anscheinend habe ich mir durch Corona noch eine weitere, andere Infektion geholt und das zieht sich leider hin.
Ich bin es nicht gewohnt, wochenlang krank zu sein, es gefällt mir nicht. Meine allerbesten Genesungswünsche daher an alle, denen es genauso oder noch viel schlechter geht. Und das sind ja derzeit leider einige.
Terry Hall
Kurz vor Weihnachten ging es mir noch richtig dreckig, am 20.12.22 gegen Mittag wagte ich dennoch den fiebrigen Blick aufs Smartphone und sah als erstes diese kurze Nachricht von meinem Freund Markus:
“Terry Hall 😢”
Tränenströme brachen aus mir heraus, ich hatte keine Chance, sie zu stoppen.
Tanja kam wenige Minuten später zu mir, sie hatte die traurige Nachricht schon vorher gehört und den ganzen Vormittag überlegt, wie sie mir das schonend beibringen soll. Und nun saß ich da schon und heulte. So wie in den Tagen danach immer wieder.
Der Tod des 63-jährigen Terry Hall hat mich mehr getroffen als viele andere der aktuellen schlechten Nachrichten aus der Popkultur. Seit “Encore”, dem Comeback-Album der Specials Anfang 2019, ist mir die Band wieder wahnsinnig nah gekommen, ich war so froh über diese musikalischen Helden, die stil- und würdevoll älter geworden sind und immer noch hervorragende Musik und Texte produzierten, fernab aller Trends, aber mit einem feinen Gespür auch für die aktuellen politischen Entwicklungen – was sich Ende 2021 in “Protest Songs 1924–2012” manifestierte. Wenige Bands hatten es geschafft, so toll zu altern und dabei relevant zu bleiben. The Specials waren eine wirklich einzigartige Band. Und wer hätte jemals gedacht, dass sie mal Frank Zappa covern würden?
Im vergangenen November wollten sie ins Studio gehen, um eine neues (Reggae-) Album aufzunehmen, wie hätte ich das gefeiert! Dann Verschiebungen, weil es Terry Hall nicht gut ging. Und nur wenige Wochen später war er tot.
Das ist doppelt und dreifach furchtbar, weil Terry Hall zeit seines Lebens mentale Probleme hatte und erst seit kurzer Zeit mehr zu sich kam. Der unfassbar entsetzliche Grund für seine psychischen Probleme war die Tatsache, dass er als Kind für einige Tage von Pädophilen entführt und misshandelt worden war, eine Geschichte, die das gesamte Schaffen dieses Mannes in den vielen Jahren danach, das von Menschlichkeit und positiver Energie geprägt war, noch unglaublicher macht. Erst seit etwa zehn Jahren, so erzählte es Terry Hall selbst in einigen Interviews, bezeichnete er sich als “glücklich”. Denn er hatte endlich die richtige Therapeutin und die richtige medikamentöse Begleitung gefunden.
Und dann stirbt er, völlig unerwartet, plötzlich, viel zu früh an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Es ist einfach alles zu grausam. Terry Hall war einer von den Guten. Die wir so dringend brauchen.
Hier ein Interview, hier noch eines, die vielen anderen und vor allem die tollen Live-Mitschnitte findet ihr selbst. Na gut, zwei Clips noch: The Specials live beim Montreux Jazz Fest (!) 1980, das Publikum am Ende komplett auf der Bühne. Und hier noch “Do Nothing” live in Bedford, wenige Monate vor Terry Halls Tod.
Und hier noch etwas Besonderes, exklusiv für euch Newsletter-Freaks, der Link ist nicht öffentlich: Ein kurzer privater Clip vom 3. April 2019 in Berlin, genau um 22:47 Uhr, der letzte Specials-Gig, den ich miterleben durfte, das Ende des Konzerts. Mein kurzes Mitgrölen ist nicht das Besondere, sondern die Worte, mit denen sich Terry Hall bei allen Konzerten der letzten Jahre verabschiedet hat:
“All we give you is love, love, love.”
Ich könnte schon wieder heulen.
Natürlich ist mir bewusst, dass es absurd ist, einen Musiker zu betrauern, den ich nicht persönlich kannte und leider auch nie getroffen habe. Aber es ist eine Art von Distanztrauer, die ich öffentlich tätigen kann. Die Menschen, die ich wirklich kannte, die in den letzten Jahren im persönlichen Umfeld gestorben sind, die Freundinnen und Freunde, die guten Bekannten – die betrauere ich nicht in einem Newsletter. Und weine um sie dennoch nicht weniger.
Weinen
Es bleibt noch ein bisschen tränengetränkt, aber man darf ab jetzt auch schmunzeln, obwohl ich eine ernsthafte Frage an euch habe – vielleicht sind ja verhaltenstherapeutische Profis anwesend: Wie vermeidet man, zu weinen?
Es ist so: Ich weine selten oder nie bei traurigen Weltereignissen oder furchtbaren allgemeinen Nachrichten. Ich weine auch eher nicht aus Wut. Bei Toden im Bekanntenkreis sind Tränen natürlich natürlich, oder in sehr seltenen Ausnahmen auch mal bei einer einem selbst wichtigen Person des öffentlichen Lebens (s.o.). Alles okay soweit.
Aber ich schluchze seit etwa drei Jahren (klar) sofort bei schönen Dingen, die mich berühren. In erster Linie bei Musik oder wenn Menschen etwas anderes Schönes in die Welt bringen, dass dem ganzen Irrsinn da draußen zwei bunt angemalte Mittelfinger zeigt.
Das alles ist natürlich eigentlich überhaupt nicht schlimm, Weinen ist so wichtig wie Lachen. Und ich schäme mich nicht dafür. Aber … wenn ich jemandem ein tolles Musikvideo zeige und dabei schluchzen muss, oder wenn ich bei einer re:publica auf der Bühne stehe und von der Zuneigung der Gäste so bewegt bin, dass ich erstmal kurz pausieren muss, dann ist das nicht nur hinderlich für den Gesamtablauf, sondern kann auch ganz schnell aufgesetzt oder gar albern wirken, egal, wie echt meine Emotionen sind. Vor allem aber nervt es mich dann in der Situation. Es stört mich.
Wer also Tipps hat, wie man Gefühle in bestimmten Situationen wenigstens für einen Moment etwas verlagern kann: Bitte gerne her damit. Ich denke an ganz praktische Tricks, sowas wie „Ganz schnell an Angela Merkel denken“ oder „Mit den Zehen des linken Fußes wackeln“ oder so. Aber es darf auch komplizierter sein. Danke.
2022
Filme und Serien
Ich möchte diesen Newsletter natürlich nicht unter Tränen beenden, daher ein paar schöne kulturelle Erinnerungen an das vergangene Jahr:
„Slow Horses“ ist nicht nur eine sensationell gute, sehr britische Krimi-Buchserie von Mick Herron, die mir mein Freund Markus vor vielen Jahren ans Herz gelegt hat. „Slow Horses“ ist auch als verfilmte Serie mit Gary Oldman als Jackson Lamb und einem ebenso grandiosen Cast ganz wunderbar. Außerdem: Toller Opening-Song von Mick Jagger. Meine Serie des Jahres, und es gibt schon zwei schön kurze und daher nie langweilige Staffeln! (Apple TV+)
Zwei der Filme des Jahres habt ihr sicher schon gesehen: Triangle of Sadness und Everything Everywhere All At Once. Letzteren musste und wollte ich zweimal schauen, beim ersten Mal ging mir das alles zu schnell.
Auch toll: Weißes Rauschen (Netflix), Kranitz 2. Staffel (ARD), Bad Sisters (Apple TV+), Severance (Apple TV+), Pistol (Disney+). Und viel zu viele mehr.
Begeisterung anderer, die ich nicht teilen kann: The Bear (Disney+) – Warum schreien die alle die ganze Zeit, warum machen die alle überhaupt, was sie machen? The Old Man (Disney+) – Die ersten drei Folgen sind super, danach ist das alles nicht mehr nachvollziehbar.
Musik
Musik: Oh, Musik. Ohne sie wäre das ja alles nicht mehr auszuhalten. Hier nur eine kleine Auswahl der vielen Künstlerinnen, Bands und Songs, die ich seit 2022 wirklich liebe, alle dazugehörigen Alben sind eine Empfehlung.
Widowspeak – Everything Is Simple
Fontaines D.C. - Jackie Down The Line
Peter Doherty & Frédéric Lo - You Can't Keep It From Me Forever
Tocotronic - Jugend ohne Gott gegen Faschismus
Khruangbin & Leon Bridges - B-Side
Craig Finn - Messing with the Settings
Superchunk - If You're Not Dark
The Hold Steady - Unpleasant Breakfast
Und hier noch ein Song, der ja nun wirklich allen aus dem Herzen spricht.
Vielleicht erzähle ich in der nächsten Ausgabe mal von meiner Social-Media-Müdigkeit. Bleibt gespannt, bleibt gesund!
Johnny
Danke für diese schöne Ausgabe #42 ☺️
Lieber Johnny, vielen Dank für diesen schönen Letter, schnief.
Und gute Besserung.