Ahoi!
Heute mal wieder im Programm: Lautes Nachdenken1. Und ein paar Links. Aber zuerst ein Foto.
Ich hoffe, es geht euch hervorragend, ehrlich! Auch wenn das unwahrscheinlich ist.
Niemand in meinem Umkreis behauptet ernsthaft, außerordentlich gut drauf zu sein. Erst Pandemie, dann Krieg(e), weiterhin Klimakrise, Erdbeben, FDP … ich finde es im Moment wirklich anstrengend, einen klaren Kopf zu behalten, Optimismus zu bewahren, sich selbst und andere gut ausgeschlafen zu motivieren. Aber – auch, wenn das ein bisschen gemein ist: Manchmal beruhigt es mich etwas, dass es anscheinend vielen Menschen ähnlich geht. Miserensolidarität.
Ich weiß natürlich auch, dass es mir im Grunde nicht zusteht, rumzujammern, während es so vielen Menschen wirklich schlecht geht. Immerhin stehen mir mehr als nur die nötigsten Grundlagen (Unterkunft, Lebensmittel, Kleidung, Gesundheit) zur Verfügung. Aber individueller Missstand kann nicht relativiert werden.
(An dieser Stelle folgten bis vor wenigen Tagen 6.125 noch lange nicht komplettierte Zeichen, die mich selbst so dermaßen runtergezogen haben, dass ich sie euch nicht zumuten möchte. Vielleicht veröffentliche ich sie zu einem anderen Zeitpunkt mal oder als Teil meines noch zu verfassenden dystopischen Vierteilers “Das Ende” (ab Herbst 2030 als ZDF-Serie), aber zwei Tage nach dem Aufschreiben dachte ich: Das bringt doch nichts, wir sind doch hier nicht bei Twitter. Stattdessen habe ich mir dann einen Mantel bestellt, weil ich diese Ballon-Kaltwetterjacke einfach nicht mehr sehen konnte, die ich jetzt seit Jahren trage. Konsum als Übersprungshandlung zur Frustrationskompensation. So falsch. Sieht aber schick aus!)
Also keine dystopischen Gedanken, sondern die Antwort auf die Frage, was mir (uns?) positive Momente in belastenden Zeiten beschert. Fragt mich ruhig: Was hilft im Moment?
All das, was immer hilft: Hoffnung. Zuversicht. Musik. Kunst. Und gute Menschen.
Lächeln
Neulich musste ich lächeln, weil ich über den Instagram-Account von Perau gestolpert bin. Ich habe Oliver Perau zwar seit Jahrzehnten nicht gesehen, aber ich “kenne” ihn, weil er der Sänger von Terry Hoax ist, mit denen meine Band Plan B 1991 auf Tour war. Es war eine tolle, erfolgreiche und sehr amüsante Tour, der wir in ihrem Verlauf den Untertitel “Rückwärts in die Charts” gegeben hatten, weil der Fahrer von Terry Hoax an einem Morgen die Gänge des Tourbusses durcheinander gebracht und den Wagen beim Anfahren versehentlich rückwärts gegen eine Mauer gesetzt hatte. Das Poster des Termins in Bremen kann man bei Ebay für 25 Euro kaufen, aber ich rate davon ab, das ist dreister Wucher.
Im Gegensatz zu Plan B sind Terry Hoax immer noch oder wieder unterwegs, und außerdem ist Perau auch noch als Juliano Rossi aktiv und croont und swingt sich durch eine Solokarriere. Das alles ist prima, aber nicht der Grund für mein vor wenigen Zeilen erwähntes Lächeln. Sondern das hier: Perau spielt und singt gemeinsam mit anderen Musikern nämlich auch noch in Seniorenwohnheimen, genauer gesagt: Die Band Klang und Leben spielt Musik für demente Menschen. Perau zeigt ab und zu Fotos von diesen Auftritten bei Instagram, und es sieht einfach durch und durch nett aus, wie er seinen Charme bei diesen Auftritten spielen lässt. Musiker*in sein und dabei noch Gutes tun: Super.
BBC
Falls ihr mal einen oder drei Abende nichts vorhabt, empfehle ich euch diese sensationelle Guardian-Liste der 100 besten BBC-Musikperformances. Allein für Bill Withers, David Bowie und die viele Peel-Session-Tipps lohnt sich der Artikel. Ein sehr umfangreiches Archiv der Peel-Sessions findet ihr übrigens hier.
Genazino
Neulich war ich wieder in der Buchhandlung von neulich und habe schon wieder ein Buch gekauft, diesmal “Der Traum des Beobachters, Aufzeichnungen 1972 - 2018”, das dann natürlich auch Aufzeichnungen enthält, und zwar von Wilhelm Genazino, der ab einem bestimmten Punkt seines Lebens (man könnte vermuten: ab 1972) flanierend Notizen machte und diese – in späteren Jahren auch als Mittel gegen sein eigenes Vergessen – archivierte und katalogisierte. Ich hatte das Buch einfach mitten im Inhalt und in der Buchhandlung aufgeschlagen und fand einige Beobachtungen sehr unterhaltsam, also nahm ich es mit. Ingesamt wird Genazino, der in den 1960ern Redakteur bei Pardon war und u.a. durch seine Abschaffel-Trilogie berühmt wurde, wohl eher nicht mein Lieblingsautor, aber es sind schöne und traurige und witzige Sätze und Beobachtungen im Buch und das ist ja schonmal was.
Ein Pferd namens Long Shot
Seit 1980 besitze ich die 7”-Single / EP “Too Much Too Young” der Specials bzw. The Special A.K.A. featuring Rico. Auf der B-Seite befindet sich u.a. der Song “Long Shot Kick De Bucket”, und es dauerte damals eine ganze Weile, bis ich erkannte, dass es sich dabei um ein Cover des Originals der Pioneers aus dem Jahr 1969 handelt. Es dauerte dann aber weitere 40 Jahre, bis ich mich fragte, was das eigentlich bedeuten soll: Long Shot Kick De Bucket.
Stellt sich heraus: Es geht um Pferderennen. “Long Shot” war Ende der 1960er ein jamaikanisches Rennpferd, das zwar nicht besonders erfolgreich, aber ausdauernd und daher sehr beliebt war.
The Pioneers nahmen 1968 den von Lee “Scratch” Perry verfassten Song “Long Shot (Bus Me Bet)” auf (in etwa: Long Shot hat meine Wette in den Sand gesetzt), weil das Pferd halt nie gewann.
Das zweihundertdritte Rennen des Pferdes (ich habe die Zahl ausgeschrieben, weil ich den Eindruck hatte, dass ihr bei “203te” eher “zweihundertdreite” lesen würdet, und bei “203.” übersieht man den Punkt schnell) war das berühmteste, denn kurz vor dem Ziel brach Long Shot tragischerweise zusammen und musste wegen einer gebrochenen Schulter eingeschläfert werden. Daraufhin veröffentlichten The Pioneers den sehr erfolgreichen Nachfolger “Long Shot Kick De Bucket”, der dann eben später von den Specials gecovert wurde.
Die Erinnerung an Long Shot bleibt aber auch an anderer Stelle erhalten: Die jamaikanische Pferderennbahn Caymanas Park in St. Catherine verleiht jährlich die “Long Shot Trophy”, im Jahr 2011 gingen die ersten drei Plätze z.B. an “Progressive”, "Third Edition" und "Mister Butcher", und ich hoffe, dass euch diese Geschichte und das darin enthaltene, für den normalalltäglichen Gebrauch wohl eher unnütze Wissen für etwa 43 Sekunden das Übel der Welt hat vergessen lassen.
Blog-Ideen
Es folgt eine kurze Liste von Blogs, die ich mal umsetzen wollte und dann nie angefangen habe:
Ein Älteremännerblog. Ein Blog für Männer ab 50. Mode, Stil, Pflege, Produkte, Psyche, Sex, Gesundheit, Verhaltensforschung, alles sowas. Name war noch unklar, hatte dann aber keinen Bock auf Kommentare von Männern ab 50, die alles besser wissen. Wer hat das schon.
Ein Busblog. Wie reist man mit einem Campingbus, was braucht man alles und was garantiert nicht, was kann man selbst ausbauen und worauf muss man achten, wohin soll’s denn gehen? Die vielen bereits vorhandenen Blogs mochte ich selten und dachte, das könnte man besser machen, aber dann hatte ich doch keine Lust, auch wegen dieses ganzen Vanlife-Hypes.
Ein anonymes Blog, in dem ich möglichst kreativ Leute und Institutionen beschimpfe, aber niemand weiß, dass ich dahinter stecke. Habe ich nie angefangen, weil ich meine Zeit einfach nicht mit dem Beschimpfen von Leuten und Institutionen verbringen möchte, egal, wie kreativ.
Ein Best-of-Kulturblog: Die besten Alben und Filme und Dinge, und warum sie die besten sind. Wahrscheinlich die sinnvollste Idee von allen genannten. Verschiedene Autor*innen könnten sich ausführlich mit ihren kulturellen Lieblingen beschäftigen. Das würde bestimmt viel Spaß machen, aber auch viel Arbeit. Ich schätze, man könnte bei der Monetarisierung mit Amazon-Partnereinnahmen von 30-40 Euro im Jahr rechnen.
Radio Spreeblick
Zum Abschluss dieses Newsletters noch der Hinweis auf den Mitschnitt der letzten Ausgabe von Radio Spreeblick, hört mal rein! Die nächste Ausgabe könnte kommenden Montag stattfinden, also am 20. März 2023.
Bleibt positiv, aber gesund.
Johnny
Ich muss dringend mein Arbeitszimmer aufräumen.
Mit Bowie auf den Ohren über einen schönen Blogpost gefreut.
Es mag kitschig klingen, aber Johnyy, du machst mein Leben schöner. Nur einen kleinen Teil, aber immerhin. Übrigens auch oder sogar insbesondere mit Radio Spreeblick!
Bitte unbedingt den Älteremännerblog machen. Alleine schon für die Mode Tipps. Ich erinnere mich noch an deine Frage nach der perfekten Jogginghose.