Moin!
Wahrscheinlich habe ich mit der letzten Ausgabe herausfinden wollen, ob überhaupt noch jemand mitliest, umso schöner, dass die Antwort “Ja” lautet. Dazu noch jede Menge neuer Abos, sehr fein, bald sind wir mehr als die FDP.
Schön, dass ihr dabei seid.
Danke, dass ihr euch die Zeit nehmt, das hier zu lesen.
Dabei hatte ich den Text der Ausgabe 50 zuerst für mich selbst angefangen, um mich ein wenig aus der eigenen deprimierten und deprimierenden Schockstarre zu befreien. Umso toller ist es, dass das offenbar auch bei einigen von euch funktioniert hat.
Wenn auch vielleicht nur kurz, denn das Elend hört ja nicht auf, und dabei schaue ich noch nicht mal in Richtung USA. Das TV-Duell zwischen Merz und Scholz war so frustrierend, denn um Zukunft, um Mieten, Mobilität, Klima, demographischen Wandel, den weltweiten Rechtsruck, KI, den Einfluss von digitalen Plattformen, der Angst vor weiteren Kriegen, oder gar um Bildung in Deutschland ging es genau: gar nicht. Daran waren nicht allein Scholz und Merz schuld. Denn das, was die Öffentlich-Rechtlichen an redaktioneller Arbeit in solchen und ähnlichen Formaten derzeit abliefern, ist streckenweise unverzeihlich, und es tut mir als ewiger Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Systems sehr weh, das schreiben zu müssen.
Eine gute Sache hat das alles aber: Ich schreie inzwischen Menschen im Fernseher an und beleidige sie von der Couch aus. Das ist natürlich extrem albern, doof und überflüssig, aber auch ein bisschen lustig, und es verhindert bis jetzt, dass ich so etwas auf der Straße tue. Wofür es ja auch oft genug Gründe gäbe.
Es hilft ja alles nix, es ist die bittere Realität, wir müssen den Tatsachen in die blutunterlaufenen Augen schauen: Etwa die Hälfte der wählenden deutschen Bevölkerung sieht und hört Menschen wie Merz oder Weidel und denkt sich:
“Na, die scheinen mir ja umfassend kompetente und herzlich ehrliche Menschenfreunde ohne größere Eigeninteressen zu sein, die bringen uns bestimmt gut durch die aktuellen Herausforderungen in eine bessere Zukunft, die wähl’ ich!”
Umso wichtiger, dass die andere Hälfte, zu der ich mich zähle, zusammenhält, denn es kommen bittere Zeiten auf uns zu.
Aber ey! Ich hatte für diese Ausgabe etwas leichtere Kost angekündigt, hier kommt also mein sehr später und hauptsächlich musikalischer Jahresrückblick. Ohne großartige Linksammlungen, ihr schafft das ab hier alleine.
Anmerkung: Es ist eine sehr lange Ausgabe geworden, ich habe deshalb Titelzeilen eingebaut, dann könnt ihr z.B. Bands überspringen, die ihr blöd findet, oder euch besser merken, wo ihr beim nächsten Mal weiterlesen wollt.
Habt ihr mal ausgerechnet, wie viel Geld ihr monatlich für digitale Waren und Dienste ausgebt? Also für Video-Streaming, Games, Musik, Softwarelizenzen, In-App-Käufe? Ich entschuldige diese Ausgaben vor mir selbst mit dem Wissen, dass ich früher™ wirklich sehr viel Geld für Musik ausgegeben habe, speziell zu Zeiten der teuren CDs war das schmerzhaft. Im Vergleich gebe ich heute weniger aus, was ja aber auch nicht gut ist, da Musiker*innen nichts mehr verdienen, wenn sie keine Superstars sind. Also kaufe ich auch wieder Vinyl, in der Hoffnung, dass das den Künstler*innen am meisten hilft. Und gebe dadurch in Summe dann noch mehr aus. Aber naja. Ist ja für einen guten Zweck, zumindest bei der Musik.
Die besten Alben von letztes Jahr according to me
The Cure – Songs Of A Lost World
Ich fand The Cure immer prima, einige Songs natürlich großartig, aber ich war nie ein Mega-Fan. Ende der 1970er hatte ich mich bei der Verteilung der Punk- und Wave-Unterformate eher für “Poppige Krachmacher” entschieden, “Grufties” (so nannten wir die Fans von The Cure und anderen kajaltragenden Bands) waren stilistisch nichts für mich. An der Qualität von The Cure und anderen Acts änderte das aber nichts, und so kenne ich zwar jedes Album, aber nicht auswendig.
Und dann das hier, nach 67 Jahren oder so. Was für ein Comeback. Songs Of A Lost World ist der perfekte Soundtrack für die manchmal so irrsinnig traurige Zeit, in der wir gerade leben. Nach einem minutenlangen Intro beginnt Robert Smith so punktgenau mit der Zeile “This is the end of every song that we sing”, dass es einem beinahe das Herz aus dem Leib reißt, dann versinkt man eine knappe Stunde lang in diesen so bombastischen wie eigentlich simplen Soundgebilden, in diesem Album, das den Vergleich mit Bowies letztem Werk Blackstar nicht zu scheuen braucht. Und wenn dann das Ende naht mit den Zeilen “Nothing left of all I loved / it all feels wrong, it’s all gone / the end of every song / left alone with nothing / nothing” … dann atmet man ganz tief durch vor Ergriffenheit und gewinnt absurderweise eben doch wieder: Hoffnung.
Ich weiß nicht genau, warum mich dieses traurige Album glücklich macht, aber das tut es.
Und wenn ihr euch mal einen richtig schönen Abend machen wollt, dann schaut ihr euch die drei Stunden The Cure live at Troxy, London vom letzten November an. Die Band ist in Bestform, spielt zuerst Songs Of A Lost World durch, geht dann kurz von der Bühne und kommt zurück für ein zweistündiges Greatest-Hits-Konzert. Das Bühnen-Setup, der wie eh und je herumtigernde und anfänglich souverän mit einem defekten Basssgitarrengurt kämpfende Simon Gallup, überhaupt die ganze Band, diese tollen alten Männer, und vorne ein Robert Smith, dessen Frisur mittlerweile aus grauer Zuckerwatte zu bestehen scheint … Hammer.
This Love Is A Fragile Thing
This Love Is My Everything
(Info: Zwei weitere neue Werke von The Cure sollen bereits fertiggestellt sein. Im Alter arbeitet man einfach effizienter. Man hat halt weniger Zeit.)
Nick Cave – Wild God
Ja gut, hatten wir ja schon letzte Woche: Der Meister ruft, und alle kommen. Es ist ein fantastisches Nick-Cave-Album, eines seiner besten, es ist voller Gospel, voller toller Chöre, bombastischer Arrangements von und mit Warren Ellis natürlich, und plötzlich kommt da sogar Autotune und ich lasse das durchgehen.
Das ganze Album ist wirklich schön, aber Oh wow Oh wow (How wonderful she is) muss hervorgehoben werden, diese sehr süße posthume Liebeserklärung an Anita Lane. Cave antwortete in seinem Newsletter auf Fans, die sich irritiert zur Eröffnungszeile “She rises in advance of her panties”1 geäußert hatten, dass er die Zeile im Gegensatz zu einigen Hörer*innen für äußerst gelungen hält und sich, nachdem er sie eines Morgens geschrieben hatte, für den Rest des Tages freigenommen hatte, weil er so zufrieden mit sich war.
Es könnte sein, dass das meine liebste Geschichte zu diesem Album ist. Ich stelle mir gerne vor, wie Nick Cave nach mehrfach verworfenen Ansätzen “She rises in advance of her panties” in sein Notizbuch schreibt, den Satz noch ein paar Mal liest und dann zufrieden den Stift beiseite legt (ja, natürlich schreibt er mit der Hand, was denkt ihr denn?). Dann steht er lächelnd auf und geht mit dem Hund ne Runde Gassi am Strand von Brighton. Schön.
Fontaines D.C. – Romance
Das beste Fontaines-Album bisher, wenn auch das gefälligste. Ich traue den Iren noch ganz Großes zu, wenn sie durchhalten und nicht vor dem noch größeren Durchbruch im Drogenwahn versinken oder sich zanken, weil der Eine den Anderen usw.usf.
Und ich schreibe das, obwohl die mich live nicht so sehr überzeugen. Das ist schon alles völlig ok, aber mir fehlt echte Interaktion, ich empfinde die Gigs irgendwie als distanziert, und mir gefällt das ganze Styling, der Habitus im Moment nicht. Das kann sich wieder ändern, und musikalisch finde ich Fontaines D.C. wirklich derzeit absolut großartig. Das Album startet mit dem Titeltrack, der auch von Depeche Mode stammen könnte, dann schleicht sich das bandtypische Starbuster an und eröffnet eigentlich das Album erst richtig – das eine halbe Stunde später mit dem fantastischen Hit Favourite endet. Inhaltlich verstehe ich kein Wort, das ist immer ein gutes Zeichen.
Jackie Down The Line war für mich der Song des Jahres 2022, und darauf konnte ich mich bereits im Januar festlegen, also bei Erscheinen (das dazugehörige Album Skinty Fia ist ebenfalls ein sehr gutes). Ein Jahr später kam die Band dann mit ihrer Version des ‘Cello Song, und die haut mich bei jedem Hören um. Ich muss peinlicherweise zugeben, dass ich das ebenfalls mitreißende, bewegende Original von Nick Drake vorher nicht kannte, aber so habe ich das eben auch gleich kennen und lieben gelernt. Es ist ja wirklich schwer, eine gute Coverversionen aufzunehmen, die eben keine 1:1 Kopie der Vorlage ist, und auch, aber eben auf eine eigene Art toll ist. Fontaines D.C. ist das beim ‘Cello Song sehr gut geglückt, und ich weiß auch konnte auch herausfinden, warum beim Songtitel ein Apostroph vor dem Wort “Cello” steht. Weil es nämlich eigentlich “Violoncello” heißt, was man früher™ eben zu “‘cello” abgekürzt hat, weil die Leute auch vor dem Internet schon faul waren, und weil sie sogar noch fauler waren, als wir denken, haben sie dann irgendwann auch noch das Apostroph weggelassen.
So wird das natürlich nichts mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland, aber man spart mit “Cello” statt “Violoncello” schon eine Menge Zeit, das muss ich zugeben.
Ich merke gerade, dass dieser Newsletter erst im Sommer 2027 fertig wird, wenn ich weiter so ausschweife, daher jetzt ein paar kürzere Empfehlungen aus dem vergangenen Jahr:
The Libertines – All Quiet On The Eastern Esplanade
Schönes Poppunk-Album voller kleiner Hits, das Konzert neulich in der Columbiahalle war auch super, Peter Doherty und Carl Barat sind inzwischen nicht nur halbwegs pünktlich auf der Bühne, sondern auch sehr süß miteinander, und ich mag ja sowieso, wie die beiden mit ihren Gitarren hin- und herschrubbeln, als würden sie sich – je nach Song – streiten oder Witze erzählen.
The Coward Brothers – Same
Die Feigling Brüder (als deutscher Bandname wäre vielleicht “Die Schisser Brüder” knackiger) sind Elvis Costello und T Bone Burnett.
Die beiden haben 1985 – das ist … ähm … das ist … fuck … das ist 40 Jahre her – mit The People’s Limousine schonmal eine 7” veröffentlicht, die ich selbstverständlich besitze, weil ich zu dieser Zeit noch die originalen britischen Vinyl-Singles von The Clash, The Jam und eben Elvis Costello sammelte – auf Discogs konnte ich neulich feststellen, dass diese Sammlung über 2.000 Euro wert sein könnte, wenn sie denn jemand käufte. Macht aber vermutlich niemand, also behalte ich alles, die 7”s nehmen ja auch nicht so viel Platz weg. Sind ja ganz flach.
Ich hatte an das (Doppel-) Album der Coward Brothers keine großen Erwartungen, und vielleicht gefällt es mir gerade deshalb so gut. Die Platte macht wirklich Spaß (ich sage immer noch “Platte”), klingt sehr direkt und rough, aber trotzdem gut, als hätte sich jemand bei einer Übungsraum-Aufnahme ein bisschen Mühe gegeben, und die Songs sind klasse, weil die beiden nicht mit ihrer Geschichte und ihren natürlich vorhandenen musikalischen Skills flexen, sondern weil sie etwas tun, was alte Herren viel zu selten tun: Sie spielen relativ schlichte, einfache, aber eben sehr gute und unterhaltsame Lieder.
Es gibt auch ein Hörspiel zu diesem Album, da habe ich nur kurz reinhören können und fand es doof, weil ich nichts verstanden habe.
Hier sind ein zwei Songs vom aktuellen Album der Coward Brothers, live bei Stephen Colbert: Das wunderschöne Always und das etwas flottere Like Licorice. Musikalisch nennt man das Ganze dann wohl Americana, und so macht es sehr viel Sinn, dass die Coward Brothers bei diesen TV-Auftritten mit Larkin Poe performen, zwei Frauen, die in den USA bekannter sind als hier, bei denen meine musikalische Offenheit dann aber an gewisse Grenzen stößt, weil es mir zu sehr in Richtung Bluegrass, Country Rock und Blues Rock geht. Kommt sicher gut, wenn man in einer viel zu großen Karre mit durchgehender Sitzbank (vorne!), die 25 Liter Super verbraucht, auf einem Highway durch die Wüste in den Sonnenuntergang rast (mit höchstens 60 mph natürlich), aber hach, mir wird es dann an dieser Stelle doch etwas zu mainstreamig. Ihr könnt ja mal reinhören.
Kennt ihr eigentlich die großartige “Elvis Costello und die Beastie Boys bei Saturday Night Life”-Geschichte? NEIN??
Also das war so.
Die “Elvis Costello und die Beastie Boys bei SNL”-Geschichte
Das Debütalbum der Sex Pistols, Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols, war Ende Oktober 1977 erschienen, die erste US-Tour sollte folgen, und auch ein TV-Auftritt bei Saturday Night Live (SNL) war für den 17. Dezember 1977 geplant. SNL war (und ist) eine US-Comedy-Show mit Liveauftritten von damals auch manchmal kontroversen Künstler*innen – so soll z.B. Patti Smith die berühmt-berüchtigte Zeile “Jesus died for somebody's sins, but not mine” im Song Gloria bei SNL genau um Mitternacht am 17.4.1976 gesungen haben. Denn am 18.4. war Ostern.
Na jedenfalls sollten 1977 die Sex Pistols bei SNL spielen. Blöd nur, dass der Pistols-Manager Malcolm McLaren keine Visa für die Band vom US-Konsulat in London bekam. Vielleicht hatten die Behörden nach dem TV-Auftritt der Pistols bei Bill Grundy ein Jahr zuvor, der im Vereinigten Königreich für reichlich Wirbel gesorgt hatte, keinen Bock auf die Truppe in den USA, vielleicht war das alles auch wieder nur eine Marketing-Geschichte von McLaren, der sich nicht rechtzeitig gekümmert hatte … jedenfalls konnte die Band nicht einreisen und somit auch nicht bei Saturday Night Live auftreten.
Zunächst sollten dann die Ramones für die Pistols einspringen, doch die sagten ab (“We don’t substitute for nobody”), und so wurde sehr kurzfristig ein anderer Ersatz gefunden: Elvis Costello and The Attractions würden anstelle der Sex Pistols spielen, und Lorne Michaels, der damalige Produzent von SNL, wünschte sich den Song Less Than Zero von Costello.
Eigentlich keine schlechte Wahl: Der Song wurde von Elvis als Reaktion auf ein TV-Interview mit Oswald Mosley geschrieben, bei dem Mosley, Gründer der faschistischen Partei British Union of Fascists, nach Costellos berechtigter Meinung viel zu freundlich behandelt wurde (okay, dass die BUF eine faschistische Partei war, hättet ihr beim relativ eindeutigen Namen wahrscheinlich geahnt, das hätte ich also weglassen können, aber ich hab das so aus der Wikipedia kopiert).
Oswald Mosley (1896 - 1980) war nicht irgendein Faschist. So heiratete der Mann z.B. 1936 im Haus von Joseph Goebbels seine zweite Ehefrau, und Adolf Hitler war dabei einer der sechs Gäste. Hashtag BFF. Und im besagten TV-Interview von 1975 spricht Mosley u.a. auch von “Repatriation”. Heute heißt das ja “Remigration”, meint aber genau den gleichen Nazidreck. Wenn ihr euch den Mitschnitt des TV-Interviews anschaut, empfehle ich, die Kommentare auszublenden, denn es ist äußerst erschütternd, wie viele Leute dort Oswald Mosley feiern – und die Tatsache, dass man damals im TV als Rechtsextremer noch in Ruhe ausreden konnte, was ja heute gar nicht mehr usw. usf. blahfasel.
Wo war ich?
SNL wollte also, dass Elvis Costello Less Than Zero spielt, Elvis Costello fand aber, dass dieser Song zu obskur und thematisch unverständlich für das US-amerikanische TV-Publikum wäre. Er schlug stattdessen vor, seinen damals brandneuen und noch nicht aufgenommenen Song Radio, Radio zu spielen. Diesen wiederum hatte Costello nämlich geschrieben, weil die Songs der Sex Pistols, als deren Vertretung er ja schließlich bei SNL war, von der BBC verboten wurden, also kein Airplay bekamen.
Doch Radio, Radio hatte noch keine US-TV-Freigabe (meine Güte …), SNL-Producer Lorne Michaels war das alles zu heikel, Costellos Label wollte auch lieber einen Song hören, den man dann auch sofort kaufen konnte, und so bestand Saturday Night Live weiterhin auf Less Than Zero.
Und dann passierte ein Stück fantastischer Rockgeschichte.
Denn zwar starteten Elvis Costello and The Attractions in der (Live!-) Show brav wie gewünscht mit Less Than Zero – doch nach wenigen Sekunden unterbrach der damals 23-jährige (!) Elvis Costello seine Band und das Stück mit den Worten “I’m sorry, ladies and gentlemen, but there’s no reason to do this song here”, und gemeinsam donnerten sie in eine grandiose Version von Radio, Radio.
Glaubt ihr nicht? Könnt ihr hier sehen und hören.
Ich weiß nicht, ob es stimmt, dass Lorne Michaels den ganzen Song über seine Mittelfinger in Richtung Costello streckte, was aber sicher überliefert ist, ist dass Costello nach diesem Zwischenfall etwa 12 Jahre lang bei SNL gesperrt war. Costellos “Skandal”-Auftritt wurde im Lauf der Zeit jedoch so legendär, dass Saturday Night Live der Story im Jahr 1999 ein spätes Denkmal setzte: Bei einem Auftritt der Beastie Boys in der Show begannen die Jungs zunächst mit Sabotage, wurden aber nach wenigen Sekunden von Elvis Costello mit den Worten “I’m sorry, ladies and gentlemen, but there’s no reason to do this song here” unterbrochen. Gemeinsam mit Elvis spielten sie dann erneut – na klar – Radio, Radio. Den Beweis gibt es leider nicht mehr auf YouTube, aber jemand hat den Clip und die Story auf TikTok gepackt.
Und jetzt wisst ihr auch, warum das die “Elvis Costello und die Beastie Boys bei Saturday Night Life”-Geschichte ist. Obwohl ich sie auch anders hätte nennen können.
Ein Fun Fact am Rande noch: Der Attractions-Drummer Pete Thomas hatte sich für den Auftritt 1977 noch schnell ein Shirt gebastelt, auf das er “Thanks Malc” gekrakelt hatte. Dank an Malcolm McLaren, der die Visa für die Sex Pistols vergeigt und damit den Attractions zu ihrem ersten US-TV-Gig verholfen hatte.
Okay, das hat jetzt nicht so irre gut geklappt mit den “kürzeren” Empfehlungen. aber ich gebe nicht auf, ich versuch’s nochmal:
Amyl And The Sniffers – Cartoon Darkness
Manchmal stehe ich auf leicht hysterische Stimmen, manchmal stehe ich auf echt schlecht gelaunte Frauen, manchmal mag ich es, wenn Leute fluchen, und manchmal stehe ich auf echt schlecht gelaunte Frauen mit leicht hysterischen Stimmen, die fluchen. Weil U Should Not Be Doing That.
Amyl And The Sniffers stammen aus Australien, und ihre Sängerin Amy Taylor wird ab und zu mit Wendy O. Williams von den Plasmatics verglichen, die in den 1980er Jahren eine Punk- und/oder Metal-Karriere hatten (hier eine Doku über die Band). Der Vergleich bezieht sich, fürchte ich, eher auf die spärliche Bekleidung beider Performerinnen, denn schreiende Punkrocksängerinnen, mit denen man Amy Taylor vergleichen könnte, gab und gibt es ja nun noch einige mehr. Und im Gegensatz zu den Plasmatics damals machen Amyl And The Sniffers kein Rocktheater.
Mir gefallen Amyl And The Sniffers heute besser als die Plasmatics damals, aber im Zuge dieser Zeilen habe ich nochmal den Wikipedia-Eintrag von Wendy O. Williams gelesen und meine Güte. Ich wusste, dass sie Ende der 1990er Selbstmord begangen hat, aber … naja, lest selbst, falls ihr in der Verfassung für ungewöhnliche und tragische Rock’n’Roll-Stories seid.
Kettcar – Gute Laune ungerecht verteilt
Bei deutschsprachiger Musik muss man immer so gut hinhören, das ist für mich manchmal das Nervige daran, aber bei Kettcar (und einigen anderen natürlich auch) mache ich das sehr gerne. Marcus Wiebusch ist einer der besten Texter – dare I say: Lyriker? – dieses Landes und ich gönne der ganzen Bande ihren Erfolg so sehr. Gute Laune ungerecht verteilt ist ein tolles Album, neulich habe ich voller Freude nochmal den Text von Einkaufen in Zeiten des Krieges mitgelesen. Große Kunst.
Peter Perrett – The Cleansing
Mit den wenigen Worten “no-one's out to get you / those rumours have never been true / no master plan could be idiot proof “ erklärt Peter Perrett sehr hübsch, wieso Verschwörungserzählungen fast immer Blödsinn sind. Auf dem Doppel-Album finden sich aber auch einige sehr, nun ja, mindestens obskure Zeilen. “my secret taliban wife / best thing I seen in my life / we're tryin' something spooky tonight” – bitte was? Und allein für dies Obskurität lohnt es sich.
Perrett hat 1978 mit seiner Band The Only Ones den unsterblichen Klassiker Another Girl, Another Planet erschaffen. Und quasi sofort danach leider mit Heroin und dem ganzen anderen Dreck angefangen und daher nicht mehr viel auf die Reihe bekommen. Seit über einem Jahrzehnt ist Perrett nun aber clean und macht gemeinsam mit seinen beiden Söhnen (!) auch wieder Musik.
MC Lücke hatte im November letzten Jahres den mittlerweile 72-jährigen Peter und seinen Sohn Jamie Perrett in seiner RadioEins-Serie “Sounds & Stories” zu Gast, es war ein spannendes, anrührendes und fast schockierend offenes Gespräch mit den beiden – und obwohl sich die ARD allergrößte Mühe gibt, Radiomitschnitte im Internet zu verstecken, konnte ich herausfinden, das man die rund zweistündige Sendung hier nachhören kann. Ich kann empfehlen, das zu tun.
It's a losing battle, tryin' to be sane / It leaves me tired and listless / If I'm gonna jump in front of a train / I'll wait till after christmas / don't wanna overstay my welcome
Sowas muss man erstmal schreiben.
K.I.Z. – Görlitzer Park
Überraschung. Denn: Ich habe ein mindestens ambivalentes Verhältnis zu K.I.Z., es gibt Texte, die ich scheiße finde, ich verstehe die Faszination der temporären Ausflüge in den Horrorcore nicht (soll und muss ich auch nicht, schon klar, ich habe auch keine Ahnung, ob diese Genrebezeichnung an dieser Stelle überhaupt korrekt ist, ich bin echt kein Hiphop-Auskenner, don’t sue me), der vielgelobte Humor der Band ist mir meistens zu zynisch, bei vielen Songs nerven mich die Autotune-Schlager-Refrains, ich finde nicht mal, dass die wirklich gut rappen … es gibt also einiges, das ich einfach nicht mag an K.I.Z.
ABER.
Manchmal sind sie halt die Einzigen, die sich gewisser Themen annehmen, zu denen so vielen anderen nichts einfällt. Ja, da ist viel Attitüde, sicher auch Show, ganz bestimmt auch Kalkül dabei. Aber das macht es alles nicht schlecht. Görlitzer Park ist textlich ein brutaler Trip, den ich als erwachsener Berliner, vor allem als Vater kaum am Stück ertrage ob seiner Direktheit und auch Ehrlichkeit. Aber genau deshalb ist das Album ein Kracher. Ich bin nicht die Zielgruppe, aber ich kann nachvollziehen, warum das junge Menschen fasziniert, anzieht, begeistert.
Lächel doch mal als Beispiel für das, was ich meine.
Ich muss mal zum Ende kommen hier, daher hier nur noch zwei Empfehlungslisten ohne weitere Kommentare:
Auch gut, muss ich aber noch ein paar Mal reinhören
Yard Act – Where’s My Utopia?
Jake Bugg – A Modern Day Distraction
Johnny Cash – Songwriter
MGMT – Loss Of Life
Primal Scream – Come Ahead
Jack White – No Name
Waxahatchee – Ivy Trip
Lambrini Girls – Who Let The Dogs Out
Leon Bridges – Leon
Michael Kiwanuka – Small Changes
Lady Blackbird – Slang Spirituals
Billy Eilish – Hit Me Hard And Soft
Noga Erez – The Vandalist
Beak> – >>>>
The Bug Club – On The Intricate Inner Workings Of The System
Nicht neu, aber auf Vinyl gekauft und oft und gern gehört
Miles Davis – Kind of Blue
The Rolling Stones – Between The Buttons
Leonard Cohen – You Want It Darker
Terry Hall – Home
Primal Scream – Riot City Blues Sessions
Adriano Celentano – Svalutation
Young Fathers – Heavy Heavy
Ghost Train Orchestra and Kronos Quartet – Sounds And Symphonies The Music Of Moondog
Bonus-Track: Der Film des Jahres 2024
Ja, Zone of Interest ist ein sehr guter Film. Poor Things hat mich hingegen nicht begeistert. Konklave ist großartig, habe ich aber erst 2025 gesehen.
Und der beste Film in 2024 war Morgen ist auch noch ein Tag (obwohl der von 2023 ist).
So. Das war’s dann aber auch für heute.
Bleibt solidarisch, bleibt hoffnungsvoll.
Bis bald!
Johnny
Die darauf folgenden Worte sind “I can confirm that God actually exists”
Erst einmal Danke fürs Durchhalten! Und Danke für Deine sehr persönlichen Gedanken, die ich im Großen und Ganzen teile.
Ich sitze in letzter Zeit ebenfalls häufig auf dem Sofa vorm Fernseher und motze vor mich hin! Sehr zum Verdruss meiner Familie, die mittlerweile schon das Zimmer verlässt, wenn es politisch wird.
Neulich bei Maischberger habe ich dann Jürgen Becker, den Kabarettisten aus Köln gesehen, der etwas überraschend treffendes zum derzeitigen politischen Diskurs äußerte:
„… die AfD setzt das Thema und alle andern Politiker folgen … das ist so wie … da sitzen acht Philosophen und ein Boxer und die fragen sich nun, wie wollen wir es jetzt machen, wie kommunizieren wir … also gut: Wir Boxen!“
Bestes Meme des Tages zeigt Biff Tannen, aus „Back to the Future II“ und darunter: „We are living in the timeline where Biff got his hands on the Sports Almanac.“
Voller Treffer!
Keep on Rocking Johnny.
Dankeschön fürs durchhalten. 2027 wird bestimmt super. Muss ja…