Hello, Darlings.
(Es gibt eine Änderung: Ich gebe den Newslettern ab jetzt mehr oder weniger kryptische, sich höchstens beim Lesen, aber manchmal auch gar nicht erklärende Titel und packe “Spreeblick News #soundso” in die Unterzeile. Das sieht viel schöner aus in eurem Mail-Ordner mit dem Titel “❤️”, also in dem, in dem ihr meine Newsletter speichert.)
2016, vier Jahre vor seinem Tod, sprach Toots Hibbert in einem Interview über “Pressure Drop”, den Song, der dieser Newsletter-Ausgabe den Titel verliehen hat (hier die Originalversion, hier die Specialsversion, hier die Clashversion, hier die Joestrummerandthemescalerosversion, alle sind sehr hörenswert), und ich fand, ihr solltet das wissen.
(Es geht im Song um Karma, um das Wissen, dass die Pressure droppen wird auf diejenigen, die es verdient haben. Also auf die Bösen. Ich weiß, das ist leicht getippt hier im – noch – sicheren europäischen Zuhause, aber es wird passieren, da schließe ich mich der Gewissheit von Toots an. Obwohl mir bewusst ist, dass das lyrische Bild hier etwas schief hängt, denn wenn der Druck fällt, ist das ja eher entlastend, der Druck auf die Bösen müsste also steigen … aber wer bin ich, um Toots Hibbert zu korrigieren. Und vielleicht ist mein lyrisches Englisch ja auch einfach zu schlecht.)
Neulich überlegten wir in kleiner Runde, ob Jens Spahn wohl eher dumm oder schlau ist, ich glaube, er ist vor allem skrupellos und daher gefährlich, denn er findet sich dabei auch noch toll.
Ich schreibe das, weil diese Ausgabe eures Lieblingsnewsletters zuerst einen Rant gegen diverse Unfähigkeiten von Politik und Medien beinhalten sollte, diesen Rant muss ich aber erst noch schreiben. Außerdem wollte ich euch von den Konzerten von Bruce Springsteen, Morrissey, Neil Young, den Untertones, Stiff Little Fingers und den Sex Pistols in Berlin berichten, diese Zeilen muss ich aber auch erst noch schreiben.
Und so ist die Nummer 56 eine schnelle Service-Ausgabe im Bereich der Bewerbungsanschreiben geworden, damit hier überhaupt mal wieder was passiert. Sie, die Ausgabe, biedert sich damit schamlos an den Megatrend “KI” an, falls jemand z.B. den Newsletter auf LinkedIn teilen will (bitte nicht).
Und schaut mal, sind die nicht toll?

Wie man Bewerbungsanschreiben nicht schreiben sollte
Q: Wie sollte man Bewerbungsanschreiben nicht schreiben?
A: Mit ChatGPT.
Ich weiß, dass Menschen nicht mehr googeln, sondern ChatGPT befragen. Und dass sie die KI für Rechtschreibkorrekturen, als Ersatz für ein Thesaurus und als Formulierungshilfe benutzen. Und überhaupt, um Texte zu schreiben. Alles irgendwie okay, aber ich möchte diesen Menschen raten, all dies nicht zu tun, wenn es um Bewerbungen geht.
In Verlauf der letzten Monate habe ich dutzende Anschreiben von Bewerbungen für verschiedene Stellen gelesen und wurde dabei ein bisschen schlecht gelaunt, weil etwa 90% mit hoher Wahrscheinlichkeit und zu einem erheblichen Teil von ChatGPT oder irgendeinem anderen LLM formuliert und daher doof und belanglos waren. In etwa gleich lange Sätze. Kein eigener Rhythmus. Kein Augenzwinkern, keine Freude (!), keine andere Emotion (übrigens: wenn es bei einem KI-Text emotional klingen soll, kommt es meistens von Herzen und/oder ist eine Herzensangelegenheit). Keine Tippfehler, kein falsches Satzzeichen (dabei sind doch Kommafehler gerade der heiße Scheiß). Dafür aber gerne einige Gedankenstriche – achtet mal drauf! Außerdem: Sätze mit “… nicht nur …, sondern auch …”. Absurde Vergleiche (“In eurem Team von Hochleistungsruderern möchte ich als Steuermann …”1). Und immer wieder austauschbare Sätze, die in Anschreiben an jedes Unternehmen der Welt stehen und von jeder x-beliebigen Person stammen könnten.
Es fehlte Persönlichkeit in diesen Schreiben, und zwar auf Seiten der Bewerber*innen und auch in Richtung der Adressat*innen. Da hat dich also eine Ausschreibung sofort angesprochen, aber warum denn? Interessant, dass du dich beruflich verändern möchtest, aber was hat dich dazu bewegt und was erhoffst du dir von der potentiellen neuen Stelle? Welche individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten bringst du mit, jenseits von schwer zu definierenden Gemeinplätzen wie “Teamfähigkeit” und “Belastbarkeit”? Was macht dich einzigartig? Aber auch: Warum bewirbst du dich bei diesem Unternehmen, was gefällt dir an der Außenwahrnehmung der Arbeit, warum möchtest du Teil dieses neuen Teams sein (das du ja noch gar nicht kennst …)?
All diese Fragen blieben in den langweiligen Anschreiben von ChatGPT, die wie ein durchschnittliches LinkedIn-Posting klangen, unbeantwortet. Zu einem ersten Gespräch eingeladen wurden folgerichtig diejenigen Bewerber*innen, die nach unserer Wahrnehmung und Vermutung tatsächlich in eigenen Worten geschrieben hatten. Nicht, weil wir ChatGPT als Formulierungshilfe ablehnen würden. Sondern weil es die spannenderen Anschreiben waren, die uns neugierig auf die Bewerber*innen gemacht haben.
Mir ist bewusst, dass nicht jede Person ein*e gute Schreiber*in ist, und nicht jede berufliche Position verlangt das, also ist es völlig okay, sich bei Anschreiben helfen zu lassen, von mir aus auch von einer KI. Mein Tipp ist aber, sich von dieser KI nicht die eigene Persönlichkeit nehmen zu lassen. Mein Tipp ist, so zu schreiben, als würde man in einer entspannten Runde, die nicht nur aus engen Freund*innen bestehen muss, erzählen, warum man diesen Job, um den man sich bewirbt, unbedingt haben möchte. Und das nicht nochmal von ChatGPT glattbügeln und damit verwässern zu lassen. Mein Tipp ist, Begeisterung und Leidenschaft fürs Thema und das ausschreibende Unternehmen auszudrücken (und sich vorher auch selbst über das Unternehmen zu informieren). Und das Ganze dann lieber nur mittelgut, aber glaubhaft zu formulieren. Statt langweilig.
Alle schreiben mit ChatGPT, aber natürlich können nicht alle den Job bekommen. Wer wirklich die Person sein möchte, die für die Stelle angenommen wird, sollte also anders als die anderen schreiben, um herauszustechen. (Aber Achtung: Bitte auch nicht zu sehr durchdrehen, wenn es um die individuelle Bewerbung geht, also lieber keine Flash-Animationen senden, um ganz besonders originell zu sein.)
Soweit mein kleiner Service-Ausflug, den man natürlich auch mit einer Prise Salz nehmen sollte, denn ich denke, ich bin überhaupt kein aktueller Maßstab, was die Beurteilung von Bewerbungen angeht. Ich schaue bei Bewerbungen zum Beispiel sehr auf das Anschreiben, die individuelle Motivation, den persönlichen Lebenslauf und die unterschiedlichen Erfahrungen einer Person, ich mag Generalist*innen und Autodidakten und vor allem Lebens- und Arbeitserfahrung (letztere nicht mal zwingend im Bereich der ausgeschriebenen Stelle), mir sind Abschlüsse und Titel nicht so wichtig. Wahrscheinlich, weil ich selbst weder das Eine noch das Andere habe. Aber andere Menschen sehen das völlig anders. Also findet da bitte eine eigene Mischung, aber hört lieber auf, euch von einer KI vertreten zu lassen. Ihr seid besser als ChatGPT.
Danke, ganz liebe Grüße aus dem sonnigen Berlin
Johnny
P.S. Ich freue mich immer über neue Abonnent*innen:
P.P.S. In einer der nächsten Ausgaben mache ich euch zu Nichtraucher*innen und in einer anderen gebe ich Stylingtipps für ältere Männer.2
Das ist natürlich frei erfunden, weil ich nicht aus echten Anschreiben zitieren möchte, aber ja, sowas in die Richtung gibt es, wenn ChatGPT schreibt.
Ich schreibe das, um mich selbst unter Druck zu setzen. The Pressure … na ihr wisst schon.
Lieber Johnny, speziell auf deine Stylingtipps für ältere Männer bin ich höchst gespannt (Druck erhöh!).
Viele Grüße
Wobei ja "The Harder They Come" ein Feiern des harten Individuums ist, der sein Leben auf eigene Weise lebt, und sich nimmt was er will zur eigenen Bereicherung. Also ganz in Jensens Sinne.
"You are robbing and you are looting - Jens Spahn you're too bad."
https://youtu.be/zaJP5TRFtCY?list=RDzaJP5TRFtCY&t=21