Merhaba!
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Würdet ihr eigentlich lieber Neil Young oder Bruce Springsteen als Gast zum Essen bei euch zu Hause haben? Und warum? Und was würdet ihr kochen? Und warum?
Schreibt‘s mir in die Kommentare.
Ich schau dann mal, was ich für euch tun kann. Hehe.
Diesmal gibt es eine etwas leichtere, popkulturelle, aber keineswegs banale Ausgabe der Spreeblick News. Denn #54 dreht sich einzig und allein um ein wirklich spannendes Fundstück aus dem TV-Archiv der BBC.
Das Video findet ihr am Ende dieses Newsletters, doch vorher erzähle ich euch, warum ich den Clip so sehenswert finde und was er mit der re:publica und der TINCON1 in diesem Jahr zu tun hat. Dann könnt ihr besser entscheiden, ob ihr euch die 50 Minuten geben wollt. Was ich natürlich empfehle, denn sonst würde ich mir die Mühe hier ja gar nicht machen.
Zuerst jedoch, wie immer: Ein Foto.2
Das Video, um das es geht, ist ein Mitschnitt der britischen TV-Diskussionsshow Brass Tacks, was zwar eigentlich Kupfernagel oder Reißzwecke oder sowas heißt, aber den Kern der Sache oder auch Das Wesentliche meint und somit ein toller Titel für eine TV-Show war, in der es eben genau darum ging. Um den Kern der Sache.
Ausgestrahlt wurde diese Ausgabe der Show am 3. August 1977 auf BBC Two, und ihr ahnt schon an der Jahreszahl, dass es mal wieder um britischen Punkrock geht. Aber noch um viel mehr.
Zwei Erinnerungen zur Einordnung der Brass-Tacks-Folge mit dem Titel “Is Punk Rock a threat to British society?” vorweg:
Erstens: Im Dezember des Vorjahres 1976 hatten die Sex Pistols mit einem Interview bei “Today with Bill Grundy” auf Thames Television für sehr viel Wirbel in den Medien und Gesprächsstoff auf den Straßen gesorgt – weil sie nämlich ganz widerwärtig geflucht haben! (Im deutschsprachigen TV musste man zwei Jahre später schon sehr anschaulich zeigen, wie sich eine Frau selbst zum Orgasmus bringen kann, um ordentlich Schlagzeilen zu machen – Tischenichtzerhacktbekommen war zu dem Zeitpunkt schon out.)
Zweitens: Es bestand zur Zeit der Ausstrahlung der Show in England eine teilweise gewalttätige Rivalität zwischen Teds und Punks, die sich später auch in Deutschland zeigen sollte. In beiden Ländern war die Boulevardpresse mal wieder nicht ganz unbeteiligt am Hochkochen der ganzen Sache, doch als eine Ursache für eine Feindschaft, die eigentlich keine war und vor allem keine hätte sein müssen, galt auch der Shop von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood in der King’s Road Nummer 430 in London. Dieser hieß 1972 Let It Rock, ab 1973 Too Fast To Live, Too Young To Die und verkaufte in erster Linie Westwoods Kreationen an Rocker und Teds. Erst mit der Umbenennung in SEX (und später Seditionaries und World's End) hielt Punkrock-Fashion Einzug in den Laden, was die damaligen Teds irgendwie blöd fanden. Was natürlich kein Grund ist, andere zu hassen, aber trotzdem hauten sich zu der Zeit Teds und Punker hin und wieder gegenseitig auf die Nase, und ein 1977 geplantes “Punk and Teds”-Konzert (u.a. mit Johnny Thunders’ Heartbreakers und Shakin’ Stevens) musste aus Sorge vor Randale abgesagt werden.
Naja, also jedenfalls gab es 1977 einige Gründe für die BBC, mal nachzufragen, ob dieser Punkrock eventuell eine Gefahr für die britische Gesellschaft darstellte.
Wenn man den Clip nun zum ersten Mal sieht, muss man erstmal laut lachen. Denn alles sieht so irre alt und lächerlich aus!
Als wäre es drei Jahrzehnte her!
Dabei sind es fast fünf.
Schnell stellt man dann aber fest, dass Moderator und Gastgeber Brian Trueman (der später sehr erfolgreich fürs Kinderfernsehen geschrieben hat und erst vor wenigen Monaten im Alter von 92 Jahren verstorben ist, hier ein Nachruf im Guardian) nebst Redaktion die Sache sehr ernst meint.
Bevor die TV-Debatte nämlich losgeht, nimmt sich die BBC ganz 20 Minuten Zeit für ordentliche Recherche und liefert eine kleine, liebevolle und sehenswerte Punk-Doku, die neben raren Live-Aufnahmen der Vibrators persönliche Stimmen einiger Punkrock*innen (und ihrer Eltern bzw. Kinder) bietet. Der wahnsinnig junge und ebenso wahnsinnig süße (und 2018 leider verstorbene) Pete Shelly von den Buzzcocks (“Do I look vile and obscene?”) taucht in der Recherche ebenso auf wie später in der Diskussionsrunde, welche dann kettenrauchend, aber recht gesittet, wirklich dicht am Thema und ohne größeren Selbstdarstellungsdrang funktioniert. Man sieht sowas heute im TV nur noch selten.
Da treffen also um die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger besorgte Stadträte und Pastor John Cooper auf einen extrem gut vorbereiteten Haufen Punks, die nebenbei auch noch die Rolle der Medien in die Mangel nehmen (John Blake, damals Pop-Kolumnist der London Evening News, fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Rolle).
Auch sensationell neben dem legendären Simon Draper von Virgin Records: Der noch legendärere John Peel, der souverän und klug in Richtung Glasgow fragt, ob man, wenn man doch aus Sicherheitsgründen überlegt, Punk-Konzerte zu untersagen, nicht eher die Fußballspiele zwischen Celtic Glasgow und den Glasgow Rangers verbieten sollte, die schließlich traditionell eine Gefahr für die Öffentlichkeit mit vielen Verletzten darstellten.
Zwischendurch gibt es dann noch ein bisschen Publikumsinteraktion mit dem damaligen Äquivalent zu „Was sagt die Netzgemeinde?“: Per Telefon werden Meinungen der TV-Zuschauer*innen entgegen- und teilweise in die Sendung genommen. Das ist live, Damundherrn!
Was mir aber am allermeisten gefällt an dieser Talkshow von 1977 ist das spürbare Wohlwollen der BBC-Moderatoren in Richtung der Punkrockenden. Der Redaktion schien völlig klar gewesen zu sein, dass hier natürlich keine Bedrohung der britischen Gesellschaft, sehr wohl aber eine gesellschaftlich relevante, popkulturelle Entwicklung stattfand, die Beachtung verdiente in einer politisch angespannten Zeit kurz vor Thatcher. Und dass diese jungen Punks mehr zu sagen hatten, als es vielleicht zunächst den Anschein machte. Schließlich stammten nicht wenige Punks damals aus durchaus gutem Hause, Pete Shelleys Vater finanzierte die erste Buzzcocks-EP, er selbst hatte Elektronik studiert … gerade der britische Punk Ende der 70er faszinierte eben nicht allein Ganztagsfaulenzer, sondern auch Kunststudierende, Gesellschaftskritiker*innen und andere Intellektuelle. Die natürlich auch Ganztagsfaulenzer*innen sein konnten, aber ihr wisst schon, was ich meine.
Hoffe ich. Damit ihr diesen wirklich unterhaltsamen Clip an einem ruhigen Abend oder in einer Mittagspause oder eines Sonntagmorgens im Bett oder bei einer Zugfahrt oder im Warteraum der Arztpraxis, in dem ihr wie gewünscht 15 Minuten vor eurem Termin sitzt, der dann 45 Minuten zu spät endlich beginnt, genießen könnt. Aber bitte Kopfhörer benutzen, danke.
Das war’s für heute, aber ich schreibe euch bald wieder.
Wenn nichts dazwischen kommt.
Love, Love, Love
Johnny
P.S. Ja, was hat denn aber nun das Video mit der re:publica und der TINCON in diesem Jahr zu tun? Nun. Das Motto der rp25, in deren Rahmen auch die TINCON stattfindet, lautet Generation XYZ. Dieses Motto soll Brücken zwischen den Generationen bauen, stellt aber auch die Frage nach Begegnungsräumen für unterschiedliche Generationen. Und beim Ansehens dieser BBC-Aufzeichnung fiel mir auf, dass es solche Aufeinandertreffen verschiedener Alters- und Kulturgruppen viel zu selten gibt. Und dass es Zeit wird, das zu ändern. Vielleicht können die re:publica und die TINCON 2025 ein Start dafür sein.
Es wäre arrogant, davon auszugehen, dass alle Leser*innen wissen, was ich zusätzlich zum Newsletterschreiben nebenberuflich mache, daher hier die Erklärung, dass ich einer von vier Gründer*innen der re:publica und einer von zwei Gründer*innen der TINCON bin.
Fast alle Fotos in den Ausgaben dieses Newsletters sind von mir, ich muss schließlich irgendwie den Kauf teurer Kameras rechtfertigen.
In diesem Zusammenhang: Hier ist ein schöner kleiner Text über Fotografie als Kunstform und Kunst generell und warum für manche Fotos Millionen gezahlt werden.
Bruce Springsteen, weil ich viel besser zu seiner Musik tanzen kann, weil ich seine Stimme, ich sag mal, tausendmal besser finde. Bin allerdings gar kein absoluter Fan, seine Musik begleitet mich eher durch meine Eltern schon seitdem wir ihn gewissermaßen heimlich im Westradio hörten, unter vielen Anderen. Meine Eltern waren damals in Ostberlin auf seinem Konzert, das hat sie nachhaltig beeindruckt.
Er wirkt auch irgendwie nahbarer auf mich, liegt aber nu auch vermutlich daran, dass ich mich mit Neil Young beinahe gar nicht beschäftige.
Meine Schwester und ich wollen auf der nahenden goldenen Hochzeit für meine Eltern u.a. "Dancing in the Dark" und "Heart of Gold" singen (live mit einer alten Coverband, die auch schon auf der Silberhochzeit spielte). Ersteres ist uns wichtiger, falls wir uns aus irgendwelchen Gründen entscheiden müssen.
Neil Young kam zumindest meinem Empfinden nach später erst dazu, wahrscheinlich lief der nicht so oft auf Rias 2?
Es wurde immer Rias 2 gehört damals bei uns und oft in der Küche getanzt. mach ich immer noch.
Ich würde irgendeine (vegetarischen) Suppe kochen wenn es kalt draußen ist und sonst Pizza machen, weil ich die einfach echt gut kann und dann jeder drauf haben kann, was er mag.
Meine Eltern haben sich nie wirklich für Musik interessiert, aber glücklicherweise hatte mein Vater einen Freund, der ihm Harvest auf Cassette aufgenommen hat. Und auf einer Fahrt in die Niederlande ist das Tape in meinem Walkman gelandet. Ich war 13 und völlig überwältigt. Ich weiß das noch wie heute, wie ich aus dem Fenster geschaut habe und einfach nicht fassen konnte, was für eine Großartigkeit ich da gerade höre. Tatsächlich war ich danach wirklich verliebt in Neil Young; ich war sicher, dass er ein sehr schöner und sehr wundervoller Mann sein musste. Bin froh, dass es Google da noch nicht gab, evtl. hätte ich das Tape dann mit etwas weniger Sehnsucht und Liebe und Ehrfurcht und Melancholie rauf und runter gehört ;-)
Wahrscheinlich gäbe es Gemüsequiche – irgendwie glaube ich, dass er für so 1 bodenständige Pie zu haben wäre …
Zwei Jahre später war ich mit dem größten Bruce Springsteen Fan der Welt zusammen und ich habe es wirklich, wirklich versucht, aber der Boss Funke ist einfach nie richtig übergesprungen, na ja ...
Danke für den Video Tipp – guck ich bestimmt!
Liebste Grüß‘, Tina